Interviews

»Die Geflüchteten tanzten nur miteinander – das wollte ich ändern«

Arbeiten aus dem Fotoworkshop »Meine (neue) Welt«, in dem geflüchtete Jugendliche aus der Erstaufnahmestelle gemeinsam mit Jugendlichen aus Suhl ihre Lebensumfelder dokumentierten.

Arbeiten aus dem Fotoworkshop »Meine (neue) Welt«, in dem geflüchtete Jugendliche aus der Erstaufnahmestelle gemeinsam mit Jugendlichen aus Suhl ihre Lebensumfelder dokumentierten.

Für ihr Projekt »Meine (neue) Welt« hat die Fotografin Nora Klein junge Menschen aus einer Erstaufnahmestelle in Suhl mit ortsansässigen Jugendlichen zusammengeführt und ihnen einfache Kameras in die Hand gedrückt. Daraus entstanden nicht nur neue Bekanntschaften, sondern auch erstaunliche Bildergebnisse. Peter Lindhorst sprach mit ihr über den integrativen Fotoworkshop.

Peter Lindhorst: Es gibt jede Menge fotografische Arbeiten über Geflüchtete. Aber die Betroffenen selbst einzubinden, ist eine wunderbare Idee. Wie bist du darauf gekommen? Und hast du Unterstützung bekommen?

Nora Klein: Im Sommer 2014 gab es ein Fest in der Erstaufnahmestelle für Geflüchtete in Suhl. Dieses sollte der Begegnung mit Einheimischen dienen. Leider gab es jedoch keine reale Begegnung. Die Geflüchteten tanzten nur miteinander. Daran wollte ich etwas ändern.

Die Erstaufnahmestelle in Suhl liegt etwas außerhalb auf einem Berg, abgelegen von der Innenstadt. Es ist sehr selten, dass sich jemand dahin verirrt. Für die Geflüchteten gibt es dort nicht viel zu tun. Sie warten. Das Fotoprojekt sollte eine aktive Möglichkeit der Freizeitgestaltung sein und darüber hinaus eine Möglichkeit zur Reflexion schaffen.

Auf dem Friedberg kam ich in Kontakt mit dem Landesjugendwerk der AWO Thüringen, einem Kinder- und Jugendverband. Diesem schlug ich das Projekt vor und stieß auf offene Ohren. Im Projektbereich »Demokratie leben!« wird dort auf kreative Art und Weise aktiv gegen Vorurteile, Diskriminierung, Ausgrenzung sowie menschenverachtende Einstellungen gekämpft. Die Koordinatorin Alexandra Jacobs war bezüglich des Fotoworkshops gleich Feuer und Flamme. Über viele Monate organisierten wir dann alles Weitere. Wir überzeugten die Betreiber der Erstaufnahmestelle, ihre Räumlichkeiten für die Jugendlichen bereitzustellen. Wir kamen auch ins Gespräch mit der Stadt Suhl, stellten unser Projekt vor und sprachen mit Jugendclubs, um einheimische Teilnehmende zu finden.

Gruppenfoto während des Fotoworkshops »Meine (neue) Welt«. Foto: Nora Klein

Gruppenfoto während des Fotoworkshops »Meine (neue) Welt«. Foto: Nora Klein

Wer wurde dafür genau ausgesucht? Wie setzte sich dein Kurs zusammen?

Es gab acht Plätze für Teilnehmende aus Suhl und acht Plätze für Geflüchtete im Alter von 14 bis 26 Jahren. Zu Beginn war es schwierig, junge Leute aus Suhl zu gewinnen. Um drei Wochenenden fürs Fotografieren zu investieren, muss man sich wirklich für das Medium Fotografie interessieren. Eine sehr engagierte Lehrerin unterstützte uns bei der Suche.

Auch die Auswahl von Interessenten in der Erstaufnahmestelle gestaltete sich schwieriger als gedacht. Aufgrund der kurzen Verweildauer in Suhl konnten wir das Projekt erst kurz vor Workshop-Beginn ankündigen. Damit wollten wir garantieren, dass die Teilnehmenden alle drei Wochenenden mitmachen konnten. Letztendlich mussten jedoch trotzdem einige Geflüchtete vorher in einen anderen Landkreis umziehen. Wir organisierten für manche sogar die Rückreise zum Fotoworkshop. Vier teilnehmende Geflüchtete kamen aus einem Kinderheim der Gegend.

Den Workshop haben wir zu dritt geleitet. David Scheitz ist Gestalter und Pädagoge. Rafael und ich sind Fotografen im Bereich Fotojournalismus und Dokumentarfotografie.

Wie lief der Kurs ab, und wie konntet ihr euch verständigen?

An drei Wochenenden haben wir für vier Stunden miteinander gearbeitet. Der Kurs fand in englischer Sprache statt. Die erste Verständigung und das Kennenlernen waren trotzdem nicht einfach. Es hat lange gedauert, denn die Sprachkenntnisse waren sehr unterschiedlich ausgeprägt. Wir saßen zum Teil mit Google Translator da, um einem Jugendlichen einfache Inhalte zu vermitteln. Er sprach leider weder Englisch noch Arabisch.

Es war wichtig, dass sich die Teilnehmer erst einmal kennenlernten, deshalb gab es viele Spiele. Erst danach konnten wir mit der Vermittlung der fotografischen Grundkenntnisse beginnen. Grundidee des Workshops war es, sich gegenseitig die unterschiedlichen Lebenswelten vorzustellen.

Mit Namen versehene Einwegkameras der Workshopteilnehmer. Foto: Nora Klein

Mit Namen versehene Einwegkameras der Workshopteilnehmer. Foto: Nora Klein

Musstest du viel Anleitung geben oder hast du die Leute einfach machen lassen?

Gleich zu Beginn stellten wir den Teilnehmern unser Thema »Meine (neue) Welt« vor. Unser Ziel war es, die Fotografie als ein geeignetes Ausdrucksmittel vorzustellen.

Also sensibilisierten wir die Jugendlichen, sich Gedanken über ihr derzeitiges Umfeld und/oder ihre Heimat zu machen. Zu Beginn hatte ich große Bedenken, was für Bilder mit den einfachen Kameras heraus kommen würden. Dass solche spannenden, authentischen Fotografien entstehen, hätte ich nie gedacht!

Es gab eine grundlegende Einleitung sowie eine spezielle Vorstellung von dokumentarisch arbeitenden Fotografen. Wir hatten u.a. zwei Jungs aus Suhl dabei, die sehr ambitionierte Fotografen sind und entsprechende Vorkenntnisse mitbrachten. Aber diese Vorkenntnisse stellten wir nicht als Bedingung. Jeder der wollte, durfte mitmachen.

War das Herausarbeiten fotografischer Qualität dein Anspruch oder ging es vor allem um Integration, Toleranz und Gruppenverhalten?

Ich muss gestehen, dass die Fotografie mehr Mittel zum Zweck war. Die Teilnehmenden sollten sich durch die Fotografie kennenlernen. Durch die Begegnungen sollten Vorurteile abgebaut, Integration aktiv gestaltet und somit interkulturelle Kompetenz gefördert werden. Die Jugendlichen kamen in direkten Kontakt miteinander und sprachen über wichtige Themen wie Flucht, Heimat, Freundschaft und Deutschland. Sie sollten sich, unabhängig von Nationalität, Hautfarbe und Religion, sowohl mit der eigenen als auch mit der fremden Welt auseinandersetzen. Während der Zeit des Workshops erfuhren die Teilnehmenden aus Eritrea, Syrien, Afghanistan und Suhl viel Interessantes über ihre Mitmenschen und entwickelten zunehmend Vertrauen zueinander.

Wie schön, dass so tolle Bilder dabei entstanden sind! Und das sage ich nicht nur, weil ich diesen Fotoworkshop organisiert und geleitet habe. Ich denke, die Bilder zeigen wirklich sehr authentisch die Perspektive derjenigen, die innerhalb und außerhalb der Erstaufnahmestelle leben.

Ist dir irgendwas aufgefallen in der Bildsprache? Wie haben die Leute ihre Aufgaben umgesetzt?

Zu Beginn war ich mir sehr unsicher, was für Bilder bei dem Projekt entstehen würden, denn die Teilnehmenden arbeiteten sehr spielerisch. Mit Spaß und Leichtigkeit begannen sie zu knipsen, und während ich sie beobachtete, wünschte ich mir, dass sie sich etwas mehr Gedanken um Bildkomposition, Ausschnitt oder Licht machen würden.

Mir gefällt an den Bildern, dass sie so nah dran, distanzlos und dadurch authentisch wirken. Die Motive wurden nicht sorgfältig durchkomponiert, sondern sind, u.a. durch das Nichtperfekte, spannend. Ich bin beeindruckt, welche Kreativität die Jugendlichen mit ihren einfachen Kameras entwickelt haben.

Was hast du für dich selbst als Erfahrung mitgenommen?

Nicht so viel nachdenken, einfach loslegen.

Wie sieht die »neue Welt« im Foto aus? Was waren beliebte Motive? Welche Rolle kann die Fotografie für die Teilnehmer haben?

Der Titel des Workshops »Meine (neue) Welt« beinhaltet natürlich verschiedene Perspektiven. Zum einen ist da der vertraute Alltag der Suhler Jugendlichen, zum anderen geht es um die Ankunft der Geflüchteten in einer neuen Lebensumgebung. »Meine (neue) Welt« stellt indirekt auch deren Reflexion auf den Verlust der Heimat dar. Was ist hier anders als in der Welt, aus der man gerade herkommt? Sich damit auseinanderzusetzen, war das Ziel. Und so sieht man Geranienkästen an Fachwerkhäusern oder den Gartenzwerg im Vorgarten, den Blick auf den Teller mit Kartoffelbrei und Hackklopsen sowie triste Wohnblöcke hinter abgetretenem Rasen – so sieht also die (neue) Welt aus.

Das Projekt war so angelegt, dass die Geflüchteten nicht nur in ihrer Erstanlaufstelle fotografierten und die Suhler in ihrem vertrauten Alltag, sondern dass sie gegenseitig in die verschiedenen Lebenswelten eindrangen und dort Bilder sammelten. Die Suhler Jugendlichen waren natürlich unglaublich neugierig, die Welt in der Erstanlaufstelle kennenzulernen. Der Wohnkomplex mit 1.200 Menschen aus verschiedensten Kulturen versetzt jeden Einheimischen in eine völlig neue Welt, mitten in der eigenen Stadt.

Die Ergebnisse des Workshops werden in einer Ausstellung in der Erstanlaufstelle in Suhl gezeigt. Foto: Nora Klein

Die Ergebnisse des Workshops werden in einer Ausstellung in der Erstanlaufstelle in Suhl gezeigt. Foto: Nora Klein

Stand schon vorher fest, dass ihr eine Ausstellung organisiert, und wie ist diese vom Publikum angenommen worden?

Von Anfang an war eine Ausstellung am dritten Workshop-Wochenende geplant. Wir wollten unser Projekt für mehr Menschen zugänglich machen. Denn auch während der Ausstellungseröffnung ist Begegnung möglich. Da treffen die Eltern und Großeltern aus Suhl auf neue Kulturen.

Weil die Bilder so gut sind und die Ausstellung außerdem eine Möglichkeit zur Begegnung schafft, haben wir uns entschieden, eine Wanderausstellung für Jugendclubs, Schulen, Rathäuser und weitere Orte zu konzipieren. Interessierte haben so die Möglichkeit, über Heimat, Deutschland und Flucht ins Gespräch zu kommen. Ab April soll es losgehen.

Was war das Schönste an diesem Kurs für dich?

Ich bin der Meinung, dass die Fotografie eine gute Möglichkeit zur Begegnung ist. Es war ein friedlich entspanntes Miteinander, bei dem die Teilnehmenden von Mal zu Mal mehr Vertrauen zueinander aufgebaut haben. Durch die Gruppenkonstellation war es möglich, den Menschen, fernab der großen Masse, als Individuen zu begegnen.

Mehr Informationen zu dem Projekt unter: www.meine-neue-welt.com