Interviews

»Ich wollte das Flüchtige der Situation festhalten«

Auch die Hamburger Kunsthalle lässt die Menschen nicht im Regen stehen und bietet als Übergangsunterkunft Schlafmöglichkeiten an. Foto: Philipp Reiss

Auch die Hamburger Kunsthalle lässt die Menschen nicht im Regen stehen und bietet als Übergangsunterkunft Schlafmöglichkeiten an. Foto: Philipp Reiss

Unter den ausstellenden Fotografen ist auch Philipp Reiss, der rund um den Hamburger Hauptbahnhof Orte fotografierte, in denen durchreisende Geflüchtete Schutz und ein Bett finden. Von ihm stammt auch das Motiv für die Einladungskarte zur Ausstellung. Frank Keil sprach mit ihm über seine Bilder.

Frank Keil: Wie kam es zu deiner Fotostrecke?

Philipp Reiss: Das ist erst mal wenig romantisch, dass war schlicht ein Auftrag: Ich war mit zwei Schreibern der »Zeit« unterwegs.

Es war Herbst geworden, die Nächte wurden immer kälter, und die Geflüchteten, die spät abends im Hamburger Hauptbahnhof ankamen, wo sie weiter wollten, aber keinen Anschlusszug hatten, mussten irgendwo die Nacht verbringen. Und da formierte sich eine Gruppe von Freiwilligen und kümmerte sich darum, und sie fand Unterstützung in der Kunsthalle, im Schauspielhaus und in der Al-Nour Moschee – alles in St. Georg. Das war das Thema, darüber sollten wir berichten.

Eine Gruppe Flüchtlinge ist nachts auf dem Weg zur Hamburger Kunsthalle (im Hintergrund). Dort wurden Schlafräume für durchreisende Flüchtlinge eingerichtet, die erst am nächsten Tag weiterreisen können. Foto: Philipp Reiss

Eine Gruppe Geflüchtete ist nachts auf dem Weg zur Hamburger Kunsthalle (im Hintergrund). Dort wurden Schlafräume für durchreisende Geflüchtete eingerichtet, die erst am nächsten Tag weiterreisen können. Foto: Philipp Reiss

Nachts mit den Geflüchteten unterwegs zu sein, war das besonders?

Absolut! Es war eine ganz besondere Atmosphäre, es war immer sehr, sehr ruhig. Und es war auch sehr schön zu erleben, wie erleichtert die Geflüchteten waren, wenn plötzlich jemand mit so einer knallgelben Leuchtweste auftauchte, arabisch sprach oder Urdu und dann sagte: »Kommt mit, wir zeigen euch, wo ihr schlafen könnt«. Und dann tippelten 20, 30 Leute Richtung Moschee oder Kunsthalle.

Wie ging es dir als Fotograf?

Ich habe nicht versucht, irgendwelche geheimen Bilder zu machen oder irgendeine Situation zu pushen. Die Geflüchteten haben mich auch sofort wahrgenommen, man sah ja, was ich tat. Manchmal haben mich die Menschen, auch wenn sie schon auf den Matratzen und unter den Decken lagen, zu sich gerufen: »Foto! Foto! Foto!« Aber es wäre sehr schwierig gewesen, diese Bilder zu verwenden, denn ich muss ja jeweils eine Freigabeerklärung unterschreiben lassen und viele konnten kein Englisch. Und wenn man ihnen dann einen Zettel hinhält, den sie nicht lesen können…

Am Eingang der Al-Nour Moschee bekommt jeder eine Decke und sucht sich dann einen Platz auf dem Gebetsteppich. Foto: Philipp Reiss

Am Eingang der Al-Nour Moschee bekommt jeder eine Decke und sucht sich dann einen Platz auf dem Gebetsteppich. Foto: Philipp Reiss

Du hast stattdessen deine Motive sehr grafisch gestaltet, man sieht keine Gesichter…

Ich habe nach Alternativen gesucht, ich wollte das Thema ruhig gestalten, wollte dokumentarisch arbeiten, wollte Licht und Schatten nutzen und nun nicht wilde, szenische Motive inszenieren. Ich habe mich gefragt: Was gibt die Umgebung her? Und ich wollte das Flüchtige der Situation festhalten – denn man nächsten Morgen sind ja alle wieder weg.

Wie ging es dir, nachdem du deine Bilder gemacht hattest und du gehen konntest?

Ich war vor allem überwältigt von der Hilfbereitschaft der Freiwilligen. Das waren tolle Leute, voller Energie, voller Eigeninitiative. Also – ich hatte einerseits einen Kloß im Hals, weil man natürlich um die Schicksale der Geflüchteten weiß oder sie wenigstens ahnen kann. Und andererseits wusste ich, da sind Leute, die helfen den Geflüchteten, zur Ruhe zu kommen – die wussten ja manchmal gar nicht so recht, in welcher Stadt sie überhaupt sind und wo diese in Deutschland liegt.

Seit vielen Monaten nehmen ehrenamtliche Helfer am Hamburger Hauptbahnhof Flüchtlinge in Empfang. Die freiweillige Helferin Tomke Bittu (Elif) versucht telefonisch herauszufinden, wo in dieser Nacht noch Schlafplätze für Transitflüchtlinge frei sind. Foto: Philipp Reiss

Seit vielen Monaten nehmen ehrenamtliche Helfer am Hamburger Hauptbahnhof Geflüchtete in Empfang. Die freiweillige Helferin Tomke Bittu (Elif) versucht telefonisch herauszufinden, wo in dieser Nacht noch Schlafplätze für Transitflüchtlinge frei sind. Foto: Philipp Reiss

Wären die Ehrenamtlichen für dich Thema einer Fotostrecke?

Auf jeden Fall! Das habe ich auch vor. Mir ist eine Frau besonders in Erinnerung geblieben: Elif. Eine Deutsche, eine Konvertitin, also mit Kopftuch, eine resolute norddeutsche Frohnatur, die mir im breitesten Hamburgisch erzählte, dass in ihrem Job gerade nicht viel los ist und da mache sie doch lieber Flüchtlingsarbeit! Also: Da muss ich noch mal los!

Eines deiner Bilder ist unsere Einladungskarte geworden. Magst du was zu dem Motiv sagen?

Es zeigt den Seiteneingang zur Kunsthalle. Da ist so eine Wand aus Riesensteinblöcken, eine Kalksandmauer, die Kunsthalle wirkt wie eine Trutzburg. Das fand ich sehr passend: Die Geflüchteten stehen vor der Festung Europa, sie sind kurz davor anzukommen und finden nun für eine Nacht Schutz hinter diesen dicken Mauern. Deswegen mag ich das Bild selbst sehr gern.


Philipp Reiss
studierte zunächst Geographie in Hamburg und Paris, bevor er sich entschied die Fotografie zu seinem Beruf zu machen. Er arbeitet als Fotojournalist mit Schwerpunkt Reportage- und Porträtfotografie. Seit 2016 wird er von der Agentur Focus vertreten.

www.philreiss.de